Deutscher Suchtkongress
Bd. 1 Nr. 1 (2023): Deutscher Suchtkongress
https://doi.org/10.18416/DSK.2023.879

dg sps Symposium (S06)

Zum seriösen wissenschaftlichen Umgang mit Spontanremissionsraten

Hauptsächlicher Artikelinhalt

Alfred Uhl (Gesundheit Österreich GmbH, Wien, Österreich)

Abstract

Hintergrund und Fragestellung
Die Fachöffentlichkeit ist regelmäßig recht widersprüchlichen Ergebnissen zur Spontanremission bei Suchtkranken konfrontiert. Diese reichen von sehr niedrigen Remissionsraten bei behandelten Personen bis zu extrem hohen Remissionsraten innerhalb kurzer Zeiträume bei Unbehandelten.


Methoden
Um diese Widersprüche aufzuklären, wurden vom Vortragenden einige bekannte Publikationen analysiert und theoretische Gründe für das Auftreten dieser Widersprüche eruiert.


Ergebnisse
Es gibt wahrscheinlichkeitstheoretisch gut erklärbare Artefakte, die eine systematische Unterschätzung von Remissionsraten in klinischen Studien und eine systematische Überschätzung bei epidemiologischen Studien verursachen. Die Unterschätzung lässt sich über eine Variante des Berkson'schen Artefakts erklären, welchen Cohen und Cohen (1984) als "The clinician's illusion" bezeichneten, die Überschätzung durch artifizielle Regression zum Mittelwert (Campbell & Kenny, 1999). Beide Artefakte sind zwar seit vielen Jahrzehnten gut bekannt, werden aber bei der Interpretation der Ergebnisse meist konsequent ignoriert. Dazu kommt, dass bei der Interpretation von Routinedaten mitunter äußerst fragwürdige Annahmen getroffen werden (z. B. von Winick, 1962 oder Robins et al., 1974).


Diskussion und Schlussfolgerung
Die oben genannten Probleme sollten in empirischen Studien zur Quantifizierung von Remission viel mehr Beachtung finden. Manche Verzerrungen können bereits bei der Konzeption der Studie abgeschwächt oder verhindert werden und andere können bei der Datenanalyse teilweise oder vollständig kompensiert werden. Bei Studien, die hohe Remissionsraten aufzeigen, ist es leider meist unmöglich zu beurteilen, wieweit die Daten reale Veränderungen widerspiegeln und inwieweit es sich um methodische Artefakte handelt.

Literaturhinweise
Berkson, J. (1946): Limitations of the application of fourfold table analysis to hospital data. Biometrics, 2, 3, 47-53
Campbell, D. T.; Kenny, D.A. (1999): A Primer on Regression Artifacts. The Guilford Press, New York
Cohen, P. & Cohen, J. (1984): The clinician’s illusion. Archives of General Psychiatry, 41, 1178–1182.
Robins, L.N.; Davis, D.H.; Nurco, D.N. (1974): How Permanent Was Vietnam Drug Addiction? American Journal of Public Health, 64, 38-43
Winick, C. (1962): United Nations Bulletin on Narcotics. Maturing out of Narcotic Addiction, 14, 1-7


Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen
Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, die die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.

Artikel-Details

Zitationsvorschlag

Uhl, A. (2023). Zum seriösen wissenschaftlichen Umgang mit Spontanremissionsraten. Deutscher Suchtkongress, 1(1). https://doi.org/10.18416/DSK.2023.879