Deutscher Suchtkongress
Bd. 1 Nr. 1 (2023): Deutscher Suchtkongress
https://doi.org/10.18416/DSK.2023.878

State of the Art: Was wissen wir über Internetnutzungsstörungen? (S05)

Problematische Nutzung sozialer Netzwerke

Hauptsächlicher Artikelinhalt

Silke M. Müller (Universität Duisburg-Essen, Duisburg), Elisa Wegmann (Universität Duisburg-Essen, Duisburg)

Abstract

Hintergrund und Fragestellung
Die problematische Nutzung sozialer Netzwerke ist bislang weder im DSM-5 noch in der ICD-11 als dezidierte psychische Störung klassifiziert. Angelehnt an die diagnostischen Kriterien für Computerspielstörung und andere (online) Verhaltenssüchte, ist die problematische Nutzung sozialer Netzwerke gekennzeichnet durch den Verlust der Kontrolle über die Nutzung, einer zunehmenden Priorisierung gegenüber anderen Aktivitäten und der Fortsetzung der Nutzung trotz negativer Konsequenzen. Neben der möglichen Einordnung als Verhaltenssucht werden auch Ähnlichkeiten zur Konzeption der Zwangsstörungen diskutiert. Vor dem Hintergrund der aktuellen empirischen Befundlage werden zugrundeliegende psychologische Prozesse diskutiert und Herausforderungen für zukünftige Forschung identifiziert.


Methoden
Narrativer Überblick über aktuelle empirische Befunde zur problematischen Nutzung sozialer Netzwerke mit Fokus auf prädisponierende Faktoren sowie affektive und kognitive Mechanismen.


Ergebnisse
Studien zeigen, dass die problematische Nutzung sozialer Netzwerke mit psychischen Störungen (wie Angststörungen und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung), psychischem Stress und vermindertem Wohlbefinden in Verbindung steht. Aktuelle Arbeiten zeigen Überschneidungen mit der online Kauf-Shopping-Störung. Experimentelle Untersuchungen deuten auf eine erhöhte Reizreaktivität, Aufmerksamkeitsverzerrungen und verminderte Inhibitionskontrolle hin, wenn Personen mit Tendenz zur problematischen Nutzung sozialer Netzwerke mit anwendungsbezogenen Reizen konfrontiert sind. Die Studienlage zur Rolle genereller Beeinträchtigungen im Entscheidungsverhalten und der Selbstkontrolle ist bislang heterogen.


Diskussion und Schlussfolgerung
Die problematische Nutzung sozialer Netzwerke weist bezüglich der Beteiligung affektiver und kognitiven Mechanismen Parallelen zu anderen Verhaltenssüchten wie der Computerspielstörung, auf. So erleben betroffene Personen einen erhöhten Drang soziale Netzwerke zu nutzen gepaart mit einer verminderten Inhibitionskontrolle. In diesem Kontext gilt es die Rolle kognitiver Kontrollfunktionen sowie verstärkender Mechanismen wie belohnungsassoziierte und angstgetriebene Prozesse verstärkt zu adressieren. Derzeit mangelt es noch an klinischen Studien und der Evidenz zur funktionalen Beeinträchtigung im Alltag. Herausforderungen für zukünftige Forschung bestehen vor allem in der Identifikation konvergenter und divergenter Mechanismen der problematischen Nutzung sozialer Netzwerke im Vergleich zu anderen Verhaltenssüchten sowie Zwangs- und Impulskontrollstörungen sowie in der konsistenten Erfassung der Symptomatik.


Offenlegung von Interessenskonflikten sowie Förderungen
Ich und die Koautorinnen und Koautoren erklären, dass während der letzten 3 Jahre keine wirtschaftlichen Vorteile oder persönlichen Verbindungen bestanden, die die Arbeit zum eingereichten Abstract beeinflusst haben könnten.


Erklärung zur Finanzierung: DFG (FOR 2974; Projekt-Nr.: 411232260)

Artikel-Details

Zitationsvorschlag

Müller, S. M., & Wegmann, E. (2023). Problematische Nutzung sozialer Netzwerke. Deutscher Suchtkongress, 1(1). https://doi.org/10.18416/DSK.2023.878